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Einführung

Das folgende Kapitel soll dem Leser dazu dienen, sich mit den Zirkelkonstruktionen des Mascheroni auf relativ einfache Art und Weise vertraut zu machen. Es werden dazu bewusst nicht allzu schwierige Konstruktionen gewählt, soll doch dem Leser veranschaulicht werden, was es heisst, Konstruktionen nur mit Hilfe eines Zirkels zu bewältigen. Die Probleme werden einem meistens erst dann so richtig bewusst, wenn man die Lösung bereits vor Augen hat, schliesslich aber merkt, dass dazu ein Lineal von Nöten wäre. Die Konstruktionen mit Zirkel allein verlangen ein ziemlich abstraktes Denken: Eine Gerade wird durch zwei Punkte festgelegt und diese Punkte erhält man nur als Schnittpunkte von Kreisbogen.

 
Beispiel 1: Gegeben sei eine Strecke AB. Konstruiere eine Strecke, die dreimal so lang ist wie AB.
 

Abb. 1

 
Lösung:
Zeichne einen Kreis mit Radius AB und Mittelpunkt B. Trage nun dieselbe Zirkelöffnung von A ab und schneide sie mit dem Kreis, so dass du C erhältst. Mache nun das gleiche mit C und dem dadurch gewonnenen Punkt D. Der resultierende Punkt E liegt nun auf der Verlängerung von AB und die Strecke AE ist gerade doppelt so lang wie AB, da sie zweimal dem Radius AB entspricht. Damit sie dreimal so lang wird, musst du dasselbe Prinzip auf E anwenden, so dass die Strecke AE nochmals um AB verlängert wird und somit dreimal so lang ist. Die Strecke AF hat nun die gewünschte Länge. Dieses Prinzip  basiert auf der Konstruktion eines regelmässigen 6-Ecks, wobei man hier natürlich nur die eine Hälfte, also ein Trapez (AEDC), konstruiert. Demzufolge müssen A, B, E und F auf einer Geraden liegen. Man kann die Konstruktion für jede beliebige Vergrösserung von AB verwenden, das einzige, was ändert, ist die Anzahl der Wiederholungen. 

 
Beispiel 2: Gegeben sei eine Strecke AB. Ein weiterer Punkt C liege ausserhalb der Strecke AB. Konstruiere den Punkt C', der symmetrisch zu C ist, wenn du AB als Spiegelungsachse verwendest.
 

Abb. 2

 
Lösung:
Ziehe zwei Kreisbogen durch C, einer mit Mittelpunkt in A, ein anderer mit Mittelpunkt in B. Der zweite Schnittpunkt dieser beiden Kreise ist gerade der gesuchte Punkt C'. 

 
Beispiel 3:
Gegeben sei eine Strecke AB sowie ein Kreis mit Radius R und Mittelpunkt O, wobei O nicht auf AB liegen darf. Gesucht sind die Schnittpunkte des Kreises mit der Strecke AB.
 

Abb. 3

 
Lösung:
Spiegle zuerst den Punkt O an AB wie bereits in Beispiel 2 gezeigt wurde. Dadurch erhalten wir O'. Als nächstes zeichnest du einen Kreis um O', benutze dazu den Radius R von Kreis O. Die Schnittpunkte S und S' der beiden Kreise sind gleichzeitig die Schnittpunkte von Kreis O mit der Strecke AB. Im Grunde genommen konstruiert man dabei eine Mittelsenkrechte zur Strecke OO'. Da beide Kreise denselben Abstand von AB haben, müssen S und S' zwangsläufig auf AB liegen. In unserem Beispiel gibt es zwei Schnittpunkte. Was aber wäre, wenn sich die beiden Kreise nur berühren würden?  In diesem speziellen Fall, der nur einmal vorkommt, gibt es bloss einen Schnittpunkt. Wenn sich die beiden Kreise weder schneiden noch berühren, existieren keine gemeinsamen Schnittpunkte mit der Geraden AB

 
Beispiel 4:
Gegeben sei eine Strecke AB. Finde einen Punkt C, so dass AC senkrecht auf AB steht.
 

Abb. 4

 
Lösung:
Ziehe je einen Kreis mit Radius R >= AB um die Punkte A und B. Mache danach einen dritten Kreis mit derselben Zirkelöffnung bei einem der zwei Schnittpunkte (in Abb. 4 nehmen wir O). Trage von B aus dreimal den Radius R ab, so dass du C erhältst. B, O und C liegen offensichtlich auf einer Geraden, genauer gesagt auf der Diagonalen des regelmässigen Sechsecks mit Umkreis k(O, R), das wir ansatzweise konstruiert haben. Dass der Winkel BAC ein rechter Winkel sein muss, folgt aus dem Thaleskreis über der Strecke BC mit Mittelpunkt O, A ist Element dieses Kreises k(O, R). 

 
Beispiel 5:
Gegeben seien drei Punkte A, B und C. Zeige, ob die Punkte auf einer Geraden liegen oder nicht.
 

Abb. 5

 
Lösung:
Man stelle sich eine Gerade durch AB vor. Es muss nun gezeigt werden, dass C auch darauf liegt. Dazu nehmen wir einen Punkt D ausserhalb von AB an und konstruiere den zu AB symmetrischen Punkt D'. Wenn C den gleichen Abstand von den Punkten D und D' hat, liegt C ebenfalls auf der Geraden AB. Dies kommt daher, weil D und D' denselben Abstand von der Strecke AB haben. Wenn nun die Strecke DC und D'C gleich lang sind, folgt daraus logischerweise, dass C auf der Geraden durch AB liegt und somit alle drei Punkte auf einer Geraden liegen. Dies ist in unserem Beispiel der Fall. 

 
Beispiel 6:
Gegeben seien drei Punkte A, B und C. C liegt ausserhalb der Geraden AB. Ergänze das Parallelogramm.
 

Abb. 6

 
Lösung:
Ziehe zwei Kreise, einen mit Mittelpunkt C und Radius AB, den anderen mit Mittelpunkt A und Radius BC. Die Lösung basiert auf den Eigenschaften des Parallelogramms – gegenüberliegende Seiten sind parallel und gleichlang. 

 
Beispiel 7:
Gegeben sei ein Kreis mit Mittelpunkt O und Radius R. Die Punkte A und B liegen auf dem Kreis. Halbiere die durch A, O und B gegebenen Winkel AOB (Beachte: Es gibt auf beiden Seiten je einen Winkel), gesucht sind zwei Punkte auf dem Kreis um O. Mit anderen Worten: die gesuchten Punkte liegen auf der Winkelhalbierenden des Winkels AOB geschnitten mit dem Kreis.
 

Abb. 7

 
Lösung:
Ergänze die zwei Parallelogramme wie im vorhergehenden Beispiel: ABOC (C liegt gegenüber von B) und OABD (D liegt gegenüber von A). Ziehe zwei Kreise mit Radius r = AD = BC, einer mit Mittelpunkt C, der andere mit Mittelpunkt D. Der Punkt E sei der obere Schnittpunkt der beiden Kreise. Schliesslich machst du je einen Kreise mit Radius OE um die Punkte C und D. Dabei entstehen die Punkte F und G, welche einerseits auf Kreis O liegen, andererseits aber auch noch die beiden Winkel AOB halbieren.

Beweis: In Folge der Konstruktion liegen die Punkte C, D und O auf einer Geraden, dasselbe gilt für F, G und O. Zudem steht OF senkrecht auf CD. Das einzige, das wir zeigen müssen, ist die Tatsache, das OF = R ist. Für ein Parallelogramm ABCD gilt folgende Formel:

AC2 + BD2 = 2(AB2 + BC2).

Dies folgt aus dem Cosinussatz:

AC2 = AB2 + BC2 - 2ABBC(cos)  und  BD2 = AB2 + BC2 - 2ABBC(cos)

==> AC2 + BD2 = 2AB2 + 2BC2 - 4ABBC(cos + cos)

==> AC2 + BD2 = 2AB2 + 2BC2 - 4ABBC(cos + cos(180° - ))

==> AC2 + BD2 = 2AB2 + 2BC2 - 4ABBC(cos - cos)

==> AC2 + BD2 = 2(AB2 + BC2)

Wir betrachten das Parallelogramm ABOC in unserer Aufgabe und versuchen die Diagonale d = CB auszudrücken:

BC2 + AO2 = 2(AB2 + BO2)

d2 + R2 = 2(AB2 + R2)

==> d2 = 2AB2 + R2  (I)

Da das Dreieck COE rechtwinklig ist, gilt nach Pythagoras:

d2 = CE2 = AB2 + OE2 

==> OE2 = d2 - AB2

Unter Verwendung von (I):

OE2 = AB2 + R2

Das Dreieck COF ist ebenfalls rechtwinklig und hat nach Pythagoras die Form:

CF2 = AB2 + OF2 = OE2  (da CF = OE)

==> AB2 + OF2 = AB2 + R2

==> OF = R  

 
Bemerkung:
Die Schwierigkeit der Zirkelkonstruktionen liegt offensichtlich darin, die Schnittpunkte einer geraden Linie mit einem Kreis oder den Schnittpunkt zweier Geraden zu bestimmen. Mascheronis Konstruktionen erscheinen deshalb schrecklich kompliziert und unklar, was selbst für "einfachste" Probleme gilt. Oftmals hilft es enorm, wenn man die Konstruktionen in weniger schwierige Einzelschritte aufteilt. Die Kombination all dieser Schritte fügen sich dann zum Ganzen. Besonders in den vorhergehenden Beispielen war dies vielfach der Fall.

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